Peter Handke und die Klassiker

Viel wird dieser Tage über den neuen Nobelpreisträger Peter Handke gesprochen und geschrieben. Richtig ist, dass man einen großen Teil der Hochkultur wegwerfen müsste, hätte er nur von moralisch einwandfreien Menschen geschaffen werden dürfen. Richtig ist aber auch, dass es für das Nobelpreiskomitee in Stockholm keinen Zwang gab, in einer Zeit, wo Nationalismen & Irrationalismen aller Art die Demokratien bedrohen, einen Proponenten des (serbischen) Nationalismus und einen mit Kriegsverbrechern befreundeten Literaten mit dem renommiertesten Literaturpreis der Welt auszuzeichnen. Gegen die klare Intention Nobels wohlgemerkt, der eindeutig fortschrittliche Autoren ausgezeichnet sehen wollte. Zu allem Überfluss schwingen auch noch rassistische Untertöne mit, als sei es ja nicht ganz so schlimm, wenn dunkelhäutige Moslems die Opfer sind. Es hätte viele Schriftstellerinnen und Schriftsteller gegeben, die als Preisträger deutlich besser geeignet gewesen wären, als Peter Handke. Seine Mitpreisträgerin Olga Tokarczuk ist ja das beste Beispiel dafür.

Hier jedoch ein paar Worte über Handkes weltliterarische Selbstverortung. Als er von Journalisten zu seiner politischen Haltung befragt wird, reagiert er patzig wie Literatur-Trump. Er käme von Homer, Cervantes und Tolstoi her, lasse sich deshalb solche Fragen nicht bieten! Handke brach das Interview beleidigt ab und stornierte alle Medientermine.

Homer? Cervantes? Tolstoi?

Homer stammt aus einer Kriegerkultur und schreibt als erstes Werk der abendländischen Literatur ein fulminantes Kriegsepos, das vordergründig den Krieg als zeitgenössische Lebenskultur zeigt, ohne jedoch hintergründig die Brutalität, Grausamkeit und Sinnlosigkeit dieser Form der Auseinandersetzung auszublenden. Selbst die politische Inkompetenz, die zu sinnlosen Gewalttaten führt, wird literarisch exploriert. Beide Seiten und deren Motive werden ausführlich dargestellt. [Notiz über die Ilias]. Handke dagegen glorifiziert in seinen Werken mit Serbienbezug nicht nur die Täterseite des Jugoslawienkriegs, sondern lügt literarisch durch Auslassungen. Fiktionalität rechtfertig keine literarischen Lügen. Literatur ist semantisch immer der Wahrheit verpflichtet. Wenn nicht der „direkten“, dann anthropologischen oder abstrakten Wahrheiten. In diesem Sinne sind auch gute Märchen oder Fabeln wahr. Handke erwarb zweifellos durch seine eigensinnige und eigenständige Ästhetik literarische Verdienste. Sie reichen aber selbstverständlich nicht an Homer heran, den Begründer der europäischen Literatur.

Cervantes also? Cervantes schreibt einen der besten Romane der Weltliteratur. Ihn zeichnen abgesehen von der narrativen Raffinesse auf allen Ebenen zwei Dinge aus: Humor und Selbstironie. [Zur Notiz über den „Don Quijote“]. Peter Handke steht literaturgeschichtlich in der gegenteiligen Tradition: Jener der raunenden Propheten, der eigenbrötlerischen Beschreiber, der schnell gekränkten ästhetischen Narzissten. Nichts könnte weiter von Handkes Literatur entfernt sein, als die witzige Leichtigkeit mit der Cervantes seinen grandiosen Geistesreichtum an seine Leser bringt. Keine ästhetische Kategorie passt weniger zu Handkes lyrischer Selbstverquältheit als die epische Selbstironie des großen Cervantes.

Es wird Sie nun nicht mehr überraschen: Tolstoi ist als Vergleich ebenso deplatziert. Hier gilt zum einen in Sachen Kriegsdarstellung vieles, was ich oben über Homer schrieb. Tolstoi stellt in Krieg und Frieden den schrecklichen „Weltkrieg“ seiner Zeit um große Objektivität bemüht dar. Dieses Bemühen gilt auch für die Ästhetik seiner besten Bücher. Tolstoi will ästhetisch „objektiv“ den Menschen und die Gesellschaft seiner Zeit darstellen, wofür er narrativ manchmal weit herauszoomt. Er porträtiert Epochen, Gesellschaften sowie soziale Strata und ist deshalb zurecht als einer der größten Realisten der Weltliteratur in die Literaturgeschichte eingegangen. Handke dagegen betreibt literarische Nabelschau. Alles kreist ums Kleine und um seine Wahrnehmung. Er benutzt primär ein literarisches Mikroskop. Notiz über „Anna Karenina“ bzw. alle Notizen über Tolstoi.

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