Schiller über Gegenwartsliteratur und Homer

Brief an Wilhelm von Humboldt am 25. Dezember 1795:

Um endlich auch die Erfahrung zu befragen, so werden Sie mir eingestehen, daß kein griechisches Trauerspiel dem Gehalt nach sich mit demjenigen messen kann, was in dieser Rücksicht von Neuern geleistet werden kann. Eine gewisse Armuth und Leerheit wird man immer daran zu tadeln finden, wenigstens ist dieß mein, immer gleichförmig wiederkehrendes Gefühl. Homers Werke haben zwar einen hohen subjectiven Gehalt, (sie geben dem Geist eine reiche Beschäftigung), aber keinen so hohen objectiven (sie erweitern den Geist ganz und gar nicht, sondern bewegen nur die Kräfte, wie sie wirklich sind). Seine Dichtungen haben eine unendliche Fläche, aber keine solche Tiefe. Was sie an Tiefe haben, das ist ein Effekt des Ganzen, nicht des einzelnen; die Natur im Ganzen ist immer unendlich und grundlos.

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