Robert Menasse: Die Hauptstadt

Wer meine literarischen Vorlieben kennt, dürfte bereits ahnen, dass mir ein Aspekt der Hauptstadt besonders gut gefällt: Die diversen geistreichen Anspielungen auf den Mann ohne Eigenschaften. Diese gibt es auf unterschiedlichen Ebenen. Von sehr feinen Anspielungen, etwa dem nachdenklich aus dem Fenster hinausblicken in entscheidenDen Momenten, bis hin zu dem strukturellen Kernelement der Handlung, welche an die Parallelaktion erinnert. Man sucht nämlich nach einem „Big Jubilee Project“, um das fünfzigjährige Jubiläum der EU Kommission zu feiern. Die nur auf den ersten Blick skurrile Idee dafür: Ausschwitz als Hauptstadt Europas auszurufen.

Wer nun vermutet, Robert Menasse hätte den Deutschen Buchpreis primär deshalb erhalten, weil er einen europäischen Hauptstadtroman schrieb, irrt allerdings: Das Buch ist literarisch sehr gelungen. Die EU Bürokratie gut recherchiert in einem Erzählwerk zu porträtieren ist schwierig. Den Betrieb in Brüssel dann schonungslos mit allen Problemen zu beschreiben und trotzdem ein überzeugendes Plädoyer für Europa vorzulegen, klingt schon wie die Quadratur des Kreises.

Sie gelingt ihm, in dem er abwechselnd die Geschichten von sehr unterschiedlichen Personen erzählt, und diese mehrschichtig intelligent miteinander verknüpft. Die griechische EU-Kulturbeamtin Fenia Xenopoulou, der Auschwitz-Überlebende David de Vriend und der mit einem seltsamen Kriminalfall vertraute Kommissar Brunfaut sind nur drei davon. Menasse gibt ihnen durch dichte Rückblenden eine interessante Biographie, welche die Geschichte Europas in unterschiedlichen Facetten spiegelt. Während sich zu Beginn die Figuren regelmäßig rhythmisch abwechseln, bekommen am Ende einige von ihnen längere Buchpassagen am Stück spendiert. Schade, dass Manesse hier das zu Beginn etablierte strukturelle Prinzip nicht durchhalten kann.

Robert Menasse: Die Hauptstadt (Suhrkamp)

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