[Notiz der Woche] Wilhelm Raabe: Pfisters Mühle

Dieser scheinbar unscheinbare kleine Roman gehört zu den besten Büchern, welche die deutschsprachige Literatur im 19. Jahrhundert hervorgebracht hat, vereinigt er doch eine Reihe offenkundig disparater Elemente mit atemberaubender literarischer Präzision.

Wie alle Bücher Raabes ist es an der Oberfläche drollig, aber unter dieser hübschen Fassade gibt es in Pfisters Mühle noch mehr Abgründe als sonst in seinen Werken. Die Rahmenhandlung ist schnell erzählt: Eberhard Pfister verkaufte die alte Mühle seines Vaters und verbringt dort zum letzten Mal vier Wochen im Sommer mit seiner jungen Gattin. In seinem Sommerferienheft schreibt er auf 22 Blättern, die Kapitel des Romans, nicht nur Erinnerungen an seine Kindheit nieder, sondern schildert auch den Untergang der Mühle als Wirtschaftsbetrieb. Die intelligente Art und Weise, wie Raabe hier erzählte Gegenwart und Vergangenheit verknüpft, ist ein großer Vorzug des Buches. Ein zweiter ist die Spiegelung sozioökonomischer Verhältnisse in einer selten eleganten Form. Die sympathische Skurrilität seiner Figuren hält die zerstörerischen Einflüsse der Außenwelt literarisch ausbalanciert. Auf diese Weise verhindert Raabe, dass der Roman ein literarisches Pamphlet wird, was vom Stoff her durchaus angelegt gewesen wäre. Geschichtliche Ereignisse so in Individuen zu spiegeln, dass beide Seiten ausgewogen und authentisch zu Ihrem Recht kommen, gehört ja zum besten, was gute Literatur zu leisten vermag.

Die Außenwelt bricht in die Idylle von Pfisters Mühle in Form der Zuckerfabrik Krickerode herein, welche den kleinen Fluß, an dem die Mühle steht, in eine stinkende Kloake verwandelt. Dem ehemals beliebten Ausflugslokal bleiben die Gäste aus. Vater Pfister strengt einen Prozess an, den er dann aber zu spät gewinnt.

Raabe gehört damit zu den ersten, der die negativen Auswirkungen des Industrialisierungsprozesses auf die Umwelt und auf alte Gewerbe beschreibt. Er enthält sich dabei aber jeder Larmoyanz und jeder Fortschrittsfeindlichkeit. Dieses unaufhaltsame Fortschreiten der Geschichte auf Kosten einzelner Individuen gibt dem Roman eine untergründige tragische Note. Das Buch liest sich exzellent und bereichert die deutsche Literatur nicht nur um die großartige Figur des A.A. Asche, Studiosus der Philosophie und erster Lehrer des Eberhard Pfister zu Beginn, Gründer einer chemischen Reinigungsfabrik am Ende. Auch das zeigt, dass Raabes Geschöpfe die Zeichen der Zeit erkennen.

Der Westermann Verlag wollte dieses kleine Meisterwerk übrigens nicht mehr drucken, da Raabes „Bücher einander doch zu sehr gleichen.“ Auch damals saßen schon Literaturbanausen in den Literaturverlagen.

Wilhelm Rabe: Pfisters Mühle. Ein Sommerferienheft (Insel TB) [2.]

4 Gedanken zu „[Notiz der Woche] Wilhelm Raabe: Pfisters Mühle

  1. Kommentare zu Buchbesprechungen leben meist vom Widerspruch (zumindest was mich betrifft). Hier das genaue Gegenteil – und das will denn auch mal sein Recht einfordern: Zustimmung in jeder Hinsicht zu dieser Besprechung der für mich vielleicht besten, stimmigsten Erzählung Raabes.

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