Plato: Der Staat. Viertes Buch (2.)

Der Staat (Meiner, Philosophische Bibliothek Bd. 80; Amazon Partnerlink)

Nach den ersten drei Büchern dürfte fast jeder moderne Leser ein Unbehagen über Platos Staatstotalitarismus verspüren. Aber auch für die Zeitgenossen im alten Athen war dieser Idealstaat eine Provokation. So überrascht es nicht, dass Adeimantos das vierte Buch mit folgendem Einwand eröffnet:

Was wirst du nun, mein Sokrates, zu deiner Verteidigung vorbringen, falls jemand dir einwerfen sollte, mit dem Glück, das du diesen Männern bietest, sei es nicht weit her […] [419]

Sokrates antwortet darauf, dass es nicht um das Glück von Gruppen oder Individuen geht, sondern um das Wohl des Staates insgesamt.

Im Mittelpunkt dieses Teils steht erneut Platos problematische Analogie zwischen Seele und Staat, auf der er seine Argumentation aufbaut. Wie ein guter Mensch, zeichne sich ein Staat durch vier Eigenschaften aus: Weisheit, Tapferkeit, Mäßigung und Gerechtigkeit. Letztere bestehe darin, dass jeder Bürger der Tätigkeit nach gehe, zu der er am besten fähig ist (nach dem früher beschriebenen Klassensystem).
Anschließend führt Sokrates seine dreiteilige Psychologie bestehend aus Vernunft, Begierde und Geist (Seele) ein. Ein weiser Mensch hält alle drei Teile in Harmonie, wobei der Vernunft die lenkende Rolle zukommt. Diese Analogie zwischen Psyche und Staat wurde in der Forschung oft kritisiert, zu Recht meiner Meinung nach. In Anbetracht der Tatsache, zu welchen ontologischen Spitzfindigkeiten Plato in seiner Metaphysik fähig ist, wirkt die Gleichsetzung zwischen Individuen mit abstrakten sozialen Prozessen vergleichsweise plump. Trotzdem sind die psychologischen Passagen sehr aufschlussreich zu lesen, prägten sie die abendländische Psychologie doch bis in die Neuzeit. An dieser Stelle sollte man sich einmal mehr in Erinnerung rufen, dass es sich hier nicht um ein politisches Programm im engen Sinn handelt, sondern um ein radikales Gedankenexperiment.

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