Heinz Schlaffer: Die kurze Geschichte der deutschen Literatur

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Mehr als hunderttausend Exemplare dieses Buches wurden inzwischen verkauft, höchst ungewöhnlich für einen Beitrag zur Geschichte der deutschen Literatur. Es lag der Gedanke nahe, dass Schlaffer im Sog der Schwanitz-Mode (Bildung für Anfänger) zum Bestseller-Autor wurde. Handelt es sich also um eine schauderhafte „Literaturgeschichte für Gestresste“?

Die Lektüre zerstreut zumindest diese Befürchtungen. Schlaffer kennt die Geschichte der deutschen Literatur und hätte einen sprachlich hervorragenden, kondensierten Überblick über ihre Entwicklung schreiben können. Das wollte er offenbar nicht, denn als gelernter Geisteswissenschaftler ist er darauf trainiert, originelle Thesen zu produzieren. Originalität genießt in den schönen Wissenschaften nach wie vor einen höheren Stellenwert als das vergleichsweise langweilige Kriterium der empirischen Überprüfbarkeit.

Nur ein Beispiel dazu: Die Bedeutungslosigkeit der mittelalterlichen Literatur zeigt sich für Schlaffer darin, dass sie kaum rezipiert wurde. Hält man dieser These die internationale Wirkungsgeschichte der Werke Richard Wagners entgegen, bleibt kaum mehr etwas von ihr übrig. Dass Wagner nur en passent erwähnt wird, versteht sich von selbst.

Schlaffers bereits aus dem Titel ersichtliche Kernaussage lautet: Literatur von Weltgeltung gab es in Deutschland nur während der Klassik und Romantik sowie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Alles andere bleibe weit hinter der Literatur anderer Länder zurück.

Auch hier argumentiert Schlaffer vor allem aus der Rezeptionsperspektive. Eine explizite ästhetische Diskussion sucht man vergebens, so als gäbe es gerade in Fragen literarischer Wertung keinen theoretischen Rechtfertigungsbedarf (und keine hervorragenden Studien dazu etwa die von Simone Winko).

Das Wesen der deutschen Literatur will Schlaffer ebenfalls ergründen. Das enge Verhältnis zur Religion sei das Hauptmerkmal der deutschen Literatur. Als Beleg dafür werden hinreichend bekannten Fakten aus der deutschen Literaturgeschichte angeführt, von Luther über den Pietismus bis hin zur Rolle des protestantischen Pfarrhauses. Selbst für Freunde gewagter Induktionsschlüsse, ein ziemlich dürftige Ausgangsbasis.

Die dümmste These bezieht sich auf die Literatur nach 1945. Schlaffer ist sich nicht zu Schade, die political correctness für die mangelnde Qualität der deutschen Belletristik der letzten 50 Jahre verantwortlich zu machen. Die Last der politischen Moral sei so drückend gewesen, dass diese gute Bücher unmöglich machte (wobei wir immer noch nicht wissen, was nach Schlaffer gute von schlechter Literatur unterscheidet).

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